Wertvoller Ankauf: Tagebuch der Auguste von Hessen

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Wilhelm Böttner: Auguste, Erbprinzessin von Hessen-Kassel

Einen aus landeshistorischer Sicht bemerkenswerten Ankauf verzeichnen dieser Tage die Sondersammlungen der UB Kassel: das gut erhaltene und reichverzierte Tagebuch von Kurfürstin Auguste wurde kürzlich bei einer Auktion in Berlin ersteigert.

Für einen Ankauf der besonderen Zimelie sprach unter anderem der starke Regionalbezug: die Aufzeichnungen geben Aufschluss über das Leben des Kasseler Kurfürstenhauses zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Dokument liefert ein umfangreiches persönliches Portrait einer Frau aus dem Hochadel und gibt lebendigen Einblick in ihre Lebens- und Gedankenwelt. Interessant im Kontext der Grimm-Forschung ist außerdem, dass Jacob und Wilhelm Grimm dem nach Augustes Wohnsitz benannten Schönfelder Kreis angehörten, der sich in Opposition zu Kurfürst Wilhelm II. um die Kurfürstin und deren Sohn Friedrich gebildet hatte.

Auguste (1780-1841), preußische Prinzessin und Tochter König Friedrich Wilhelms II., seit 1797 verheiratet mit Wilhelm II. (1821-1847 Landgraf u. Kurfürst in Kassel), hält in ihrem Tagebuch neben privaten Reisenotizen auch Schilderungen politischer Ereignisse fest.

Ihre Ehe mit Wilhelm ist glücklos: dieser lebt seit 1812 in einer festen Beziehung mit Emilie Örtlep, seit 1821 Gräfin Reichenbach. 1815 schließen die Eheleute einen geheimen Trennungsvertrag, einer Scheidung widersetzt Auguste sich vehement. Von 1826 bis 1827 lebt sie u.a. in Den Haag, Koblenz und Bonn. 1828 geht sie nach Fulda, wo sie bis zu ihrer erneuten Rückkehr nach Kassel 1831 lebt. Hier stirbt sie im Jahre 1841 in ihrem einundsechzigsten Lebensjahr.

Reisetagebuch der Kurfürstin Auguste von Hessen-Kassel Signatur: 4° Ms. Hass. 445

Reisetagebuch der Kurfürstin Auguste von Hessen-Kassel
Signatur: 4° Ms. Hass. 445

Das insgesamt unregelmäßig geführte und sich über ca. sieben Jahre erstreckende Tagebuch setzt ein im Oktober 1829 mit der Verzeichnung von Besuchen preußischer Verwandter in Fulda und kurzen Schilderungen kleiner Abendgesellschaften in Augustes Salon. Hierzu zählen auch die Besuche von Wilhelm Grimm bei der Kurfürstin, bei denen er dieser und ihrer Entourage vorliest. Auch eine Einladung zum Thee findet Erwähnung, die Auguste zu Grimms Abschied veranstaltet.

Im ersten Teil enthält das Tagebuch Schilderungen ihrer Reisen durch Mitteldeutschland in den Jahren 1829 bis 1835, im zweiten finden sich ausführliche Berichte über eine Schweiz-Reise im Frühjahr/Sommer 1835.

Reisetagebuch der Kurfürstin Auguste von Hessen-Kassel Signatur: 4° Ms. Hass. 445, ErsterEintrag von 1829

Reisetagebuch der Kurfürstin Auguste von Hessen-Kassel
ErsterEintrag von 1829

Den Schluss bilden kurze Notizen zum Aufenthalt Augustes in Kassel im Winter 1835 und ein Gedenken an ihre am 28. Januar 1836 verstorbene Freundin Marie von Clausewitz. Sukzessive entstandene tabellarische Notae zu wichtigen Ereignissen in ihrem Leben, die jeweils im November der Jahre 1791-1840 stattfanden, haben keinen engeren Bezug zum Haupttext und gehören in ihrer Grundschicht wahrscheinlich einer früheren Entstehungszeit an, wie auch die über das Tagebuch verteilten Gouachen von Blumen, und historische Notizen in Englisch, Italienisch und Französisch.

Aus landeshistorischer Sicht ist bedeutsam, dass das Tagebuch u.a. spiegelt, welch große Bedeutung familiäre Bindungen für sie hatten, und wie komplex das Beziehungsgeflecht der kurfürstlichen Familie um 1830 gewesen sein muss. So dokumentiert der Text die enge Bindung der Kurfürstin zu ihrer jüngsten Tochter Marie von Sachsen-Meiningen, in deren Sommerresidenz Altenstein sie oft wochenlang zu Besuch war, ebenso wie das äußerst gespannte Verhältnis zu ihrem Sohn Friedrich nach dessen Heirat mit der geschiedenen Gertrude Lehmann.

Historisch interessant sind vor allem die detaillierten Schilderungen der politischen Unruhen im Kasseler Winter 1830/31, die, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt in Fulda aufgehalten haben muss, den Eindruck erwecken, als ob sie diese vor Ort miterlebt habe.

Kulturgeschichtlich aufschlussreich dürften die Schilderungen auch unter dem Aspekt zweier bedeutsamer Erfahrungen sein: Auguste als frühe Touristin: detailreiche Schilderungen ihrer Eindrücke auf Reisen und bei Ausflügen durch Mitteldeutschland und die Schweiz. Auguste in ihrer Rolle als adelsstolze preußische Prinzessin und Kurfürstin auf dem Abstellgleis: gesellschaftliches Leben in Fulda, Kassel und am Meininger Hof, weibliches Statusbewusstsein im Umgang mit Adeligen, Militär und Bürgerlichen. Die Edition und wissenschaftliche Erschließung des Dokuments übernimmt Prof. Dr. Holger Ehrhardt. Ein Digitalisat in hoher Auflösung steht über das Onlinearchiv ORKA der Universität Kassel weltweit kostenfrei zur Verfügung.

Nicht nur inhaltlich stellt das 15 x 19 cm große Büchlein eine Besonderheit dar:
In hellgrünem Chagrinleder gebunden mit reicher floraler Rücken- und Decken-vergoldung ist das Tagebuch mit roten Seidenspiegeln, dreiseitigem Goldschnitt und einer vergoldeten Messingschließe ausgestattet. Der außergewöhnlich gut erhaltene Einband stammt aus der Werkstatt des Berliner Hofbuchbinders Karl Lehmann, einem der renommiertesten deutschen Einbandkünstler des frühen 19. Jahrhunderts.

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