Als Universitätsbibliothek nehmen wir die Veränderung der Geschäftsmodelle klassischer Verlage mit sinkender Leistung und steigenden Preisen deutlich wahr. Uns liegt viel daran, sowohl die Publikationsbedingungen als auch die Informationsversorgung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Kassel zu optimieren, wobei Open Access für uns ein wichtiger Baustein ist. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Veröffentlichungen bei Elsevier, Springer oder anderen großen Wissenschaftsverlagen?
Der nachfolgende Beitrag von Tobias Pohlmann ist ein Erfahrungsbericht. Haben Sie Ähnliches erlebt, oder können Sie im Gegenteil Positives berichten? Stellt unser Open-Access-Fonds
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Vor wenigen Wochen machte ein Text auf netzpolitik.org die Runde, der mir zumindest ansatzweise wie ein Déjà-vu vorkam. Unter dem Titel Was leisten Wissenschaftsverlage heute eigentlich noch? schrieb der Züricher Informatikprofessor Lorenz M. Hilty einen Gastbeitrag über seine ernüchternden Erfahrungen mit dem Springer-Verlag bei der Veröffentlichung eines Sammelbands.
Aufgrund seiner guten Erfahrungen mit Springer Anfang der 90er Jahre wollte er dort erneut einen Sammelband veröffentlichen. Den Kapitelautoren wurden die Author Guidlines von der Verlagswebseite mitgeteilt. Sie sahen sich im weiteren Verlauf jedoch immer wieder mit neuen, widersprüchlichen Formatierungsvorgaben des Verlags konfrontiert. Nach Abgabe des fertigen Skripts erfolgte die weitere Bearbeitung in Indien, wohin Springer Teile seines Geschäfts ausgelagert hat. Die von dort erhaltenen Korrekturfahnen waren voller Fehler und hielten sich an keine der gemachten Vorgaben. Überschriften waren falsch formatiert, Verweise in andere Kapitel fehlten, die Literaturangaben inkl. Abkürzungen waren in Kleinschreibung umformatiert und Literaturreferenzen aus dem Text teilweise entfernt worden. Nur in einem mühsamen Iterationsprozess mit Fehlerhinweisen an den Verlag und dortiger Korrektur unter Entstehung neuer Fehler gelang es Hilty und seinem Team, eine fehlerfreie Druckfahne zu erstellen. Er resümiert: „Ein bestechendes Geschäftsmodell: Lass unqualifizierte Arbeiter zusammen mit gutmütigen Wissenschaftlern etwas erarbeiten, wobei Letztere kostenlos die Qualitätssicherung übernehmen, auch dann noch, wenn das Projekt zum Fass ohne Boden wird. Und lass dir alle Rechte am Ergebnis abtreten – als Gegenleistung dafür, dass du diesen Prozess mal eben schlecht und recht organisierst.“
Der Kaufpreis des fertigen Sammelbands liegt mit etwas mehr als 200 Euro doppelt so hoch wie ursprünglich geschätzt. Der Onlineabruf eines einzelnen Kapitels kostet um die 25 Euro. Erst acht Monate nach Erscheinen erfolgte nach Beschwerde die beworbene Indexierung in Scopus; im Web of Science fehlt sie nach wie vor.
Hilty stellt ernüchtert fest: „Bis vor zwei, drei Jahrzehnten haben Verlage noch Themen identifiziert, Autoren gefunden, beraten und betreut. Ihre Reputation haben sie erworben, indem sie die inhaltliche und technische Qualität der Werke sicherstellten. Außerdem sind sie erhebliche finanzielle Risiken eingegangen […]. Heute dagegen, im Zeitalter von „Print on Demand“, ist das finanzielle Risiko nahe Null. Die Produktion wird […] in Billiglohnländer ausgelagert und die Qualitätssicherung komplett auf die Herausgeber und Autoren abgewälzt.“ Hilty glaubt, dass „die renommierten Wissenschaftsverlage schon lange und in voller Absicht vom Glanz vergangener Zeiten leben“, dass sie „ein Mythos von Qualität und Glaubwürdigkeit“ umgebe, und fragt sich „wie lange es dauert, bis der Gaul zu Tode geritten ist.“
Warum nun ist diese Schilderung für mich ein Déjà-vu? Weil ich Ähnliches im kleinen Format zumindest teilweise erlebt habe, als ich während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig einen Artikel in einer Elsevier-Zeitschrift veröffentlicht hatte.
Der Artikel, der ursprünglich ein Konferenzbeitrag war, musste gemäß Author Guidelines eingereicht werden. Formatvorgaben für den Text gab es zwar keine, aber ich erinnere mich an den großen Aufwand, die Grafiken in eines der gewünschte Dateiformate unter Berücksichtigung von Auflösung und Schriftgrößen zu bringen. Die Korrekturfahne kam auch bei diesem Verlag aus Indien. Ich fand darin noch Tippfehler, die aber kaum der Rede wert sind. Viel mehr ärgerte mich aber, dass zwei der Formeln, die ich mühsam mit dem Formeleditor erstellt hatte, nun fehlerhaft und somit unverständlich waren. Ich hätte dies leicht übersehen können, womit die Verständlichkeit des gesamten Artikels erschwert worden wäre. In einer Tabelle war eine Formatierung vorgenommen worden, die deren Übersichtlichkeit störte. Einige weitere Anmerkungen von mir wurden in der schließlich veröffentlichten Version überhaupt nicht berücksichtigt.
Glücklicherweise war es nur ein Artikel und kein ganzer Sammelband, aber es hat mich trotzdem einiges an Zeit gekostet, die Korrekturfahne sorgfältig zu prüfen und meine Korrekturwünsche anzumerken. Wie dieses Lektorat die bekanntermaßen hohen Subskriptionsgebühren rechtfertigt, hat sich mir schon damals nicht erschlossen.
Kontakt:
Dr. Tobias Pohlmann
pohlmann@bibliothek.uni-kassel.de
0561 804 2529
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Donnerstag, 5. November 18 Uhr
Wissenschaftliches Publizieren im Wandel
Podiumsdiskussion zur Zukunft des digitalen wissenschaftlichen Publizierens
im Senatssaal (R 2101) im Sophie-Hentschel-Haus, Mönchebergstraße 3
Mit Dr. Ralf Schimmer, Max-Planck-Digital Library, München,
Margo Bagheer, SUB Göttingen; Prof. Dr. Alexander Roßnagel, CIO der Universität Kassel; Prof. Dr. Christiane Koch, Inst. für Physik; Prof. Dr. Jan Hemming, Inst. für Musik; Dr. Tobias Pohlmann, Open-Access-Beauftragter der UB Kassel