Wissenschaftliche Bibliotheken haben kein leichtes Standing in der heutigen Zeit. Einst Informations-Monopolisten, sind sie scheinbar überflüssig geworden in einem Zeitalter, in dem jede:r sich im Internet die Informationen selbst besorgen kann. So scheint es – doch die Herausforderungen der Informationsbeschaffung sind heute andere: Welche Quelle ist vertrauenswürdig? Welche Inhalte sind zuverlässig und nicht morgen schon wieder verschwunden? Soll die Verbreitung wissenschaftlicher Publikationen eigentlich von kommerziellen Anbietern abhängig sein? Die wissenschaftlichen Bibliotheken sind an den Herausforderungen gewachsen und bieten Antworten und neue Dienstleistungen.
Eine der Kernaufgaben wissenschaftlicher Bibliotheken ist und bleibt, Zugang zu wissenschaftlicher Literatur zu ermöglichen. Selbst wenn die gesuchten Informationen im Internet frei verfügbar sind, etwa als Open-Access-Zeitschriftenartikel und -Bücher, hat die Bibliothek häufig ihre Finger mit im Spiel: Open-Access-Publikationen werden von vielen wissenschaftlichen Bibliotheken finanziell gefördert, und zudem arbeiten wissenschaftliche Bibliotheken gemeinsam auf die Verbreitung und Vereinfachung von Open Access hin – das kommt allen Informationssuchenden zugute. Können die gesuchten Artikel oder Bücher nicht direkt aufgerufen werden, dann hat die wissenschaftliche Bibliothek entweder die Zeitschrift abonniert bzw. das Buch im Regal oder im Onlinezugang, oder sie besorgt das Gewünschte per Fernleihe.
Zur Nutzung, Bewertung und Zitation der so gefundenen Informationsquellen bieten die wissenschaftlichen Bibliotheken Schulungen an. Und bei der anschließenden Produktion eigener Texte unterstützt die Bibliothek als ruhiger und inspirierender Lernort, oft ergänzt durch motivierende Veranstaltungen wie die Lange Schreibnacht.
Doch es geht noch weiter. Neue Themenbereiche wie das Forschungsdatenmanagement werden von wissenschaftlichen Bibliotheken international beobachtet, lokal aufbereitet und in Form von Schulungen, Beratung und IT-Werkzeugen an die Wissenschaftler:innen weitergegeben. Im Bereich der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse unterhalten viele wissenschaftliche Bibliotheken eine Publikationsinfrastruktur als Alternative zum herkömmlichen Verlagswesen: Publikationsserver, Forschungsdatenrepositorien, Universitätsverlage, Diamond-Open-Access-Zeitschriften – dem freien Zugang zu wissenschaftlicher Erkenntnis verpflichtet, ohne kommerzielle Hintergedanken.
Die wissenschaftlichen Bibliotheken gehen also mit der Zeit – und das auch im Hinblick auf historische Quellen und alte Kulturgutschätze. Um diese wertvollen Dokumente zu bewahren, nutzen sie neueste Methoden (etwa bei der Entsäuerung historischer Zeitschriften), sorgen für deren Auffindbarkeit durch die Verzeichnung in relevanten Nachweisinstrumenten und für die Nutzbarkeit, indem sie geeignete Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen (etwa durch Digitalisierung oder im Lesesaal).
Drehen wissenschaftliche Bibliotheken also nur noch Däumchen, seit das Internet ihnen die ganze Arbeit abgenommen hat? Keineswegs. Viele Aktivitäten der wissenschaftlichen Bibliotheken sind für Nutzer:innen heutzutage weniger sichtbar als damals, als die Bibliothek noch das Nadelöhr des Informationszugangs hütete; andere sind wichtiger als je zuvor. Das große Engagement der wissenschaftlichen Bibliotheken zu aktuellen wissenschaftsunterstützenden Themen, ihre Vertrauenswürdigkeit, Transparenz und Langlebigkeit sind für die Hochschulen und für die Wissenschaft insgesamt von entscheidender Bedeutung.
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Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Vielen Dank für diesen kurzen Überblick. Eine aktuelle Frage: ist es bereits möglich die Datenbestände mit KI abzufragen? Gerade bei komplexen und manchmal sehr vernetzten Gebieten, wie bspw. Soziologie oder Psychologie, machen UND, ODER Abfragen weniger Sinn und könnten mit KI zu qualitativ besseren Ergebnissen führen.
Herzlich Grüße – und ich bin gespannt auf die Antwort
Vielen Dank für die Frage! Es stimmt, auch in Bibliotheken hat die Anwendung von KI viel Potential – und das nicht nur bei der Literaturrecherche: KI wird beispielsweise bereits bei der inhaltlichen Erschließung von Medien genutzt (siehe dazu z. B. im Blog der Deutschen Nationalbibliothek: https://blog.dnb.de/texte-erschliessen-mit-ki/). Diese Erschließung ist eine wichtige Grundlage dafür, dass die Medien von Suchmaschinen (auch KI-gestützten) gefunden werden können, und stellt eine Kernaufgabe wissenschaftlicher Bibliotheken dar. Dazu empfehle ich Ihnen dieses spannende Interview zur Lektüre: https://www.zbw-mediatalk.eu/de/2022/08/ki-in-wissenschaftlichen-bibliotheken-teil-1-handlungsfelder-grosse-player-und-die-automatisierung-der-erschliessung/.
Im Bereich der KI-gestützten Recherche konzentrieren sich die wissenschaftlichen Bibliotheken in unserem Umfeld zunächst auf die Vermittlung von Tools, die an anderen Stellen entwickelt wurden. Einen Überblick finden Sie z. B. hier: https://www.hs-rm.de/de/service/hochschul-und-landesbibliothek/suchen-finden/ki-tools#recherche-plattformen-mit-ki-unterstuetzung-132409.
Gleichzeitig stehen wir untereinander im Austausch und arbeiten zusammen, um unsere Servicequalität stetig zu verbessern. Auch die Möglichkeit, KI mit dem Bibliothekskatalog zu verknüpfen und dadurch eine KI-gestützte Recherche zu ermöglichen, wird aktuell diskutiert. Es ist uns wichtig, nachhaltige und datenschutzkonforme Dienste anzubieten – in den nächsten Jahren wird sich hier sicher einiges tun.