‚KOOP-LITERA deutschland‘ zu Gast in Kassel

„Auf Spurensuche“ in und mit Nachlassbeständen begaben sich Mitte Mai zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter deutscher Archive, Bibliotheken und Museen auf der 11. Arbeitstagung der KOOP-LITERA (des Kompetenz-Netzwerks nachlasshaltender Kultureinrichtungen) im Bootshaus der Universität Kassel.

Im Mittelpunkt hierbei standen mit dem Thema ‚Provenienzen‘ nicht nur Fragen danach, wem eine Sammlung, ein Autograf oder eine Handschrift einmal gehört hat und unter welchen Umständen sie an die Institution gelangte. Daneben gaben die Referierenden Einblicke in die Herkunft und Zusammensetzung ihrer Nachlassbestände, thematisierten aber auch ‚dunklere‘ Kapitel in der Geschichte der Häuser wie die Enteignung und Vereinnahmung von Sammlungen oder Sammlungsteilen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Während in Bibliotheken und Museen Nachlässe früher oft unter inhaltlichen Gesichtspunkten auseinander sortiert worden sind, ist seit dem 19. Jahrhundert das Provenienzprinzip (das vorschreibt, dass Aufzeichnungen unterschiedlicher Herkunft nicht vermischt werden dürfen) Teil der fachlichen DNA der Archive.

Im Verlauf der Tagung wurde daher deutlich, wie vielfältig sich Forschungsdesiderate und Fragestellungen rund um Bestands-‚Provenienzen‘ in Bibliotheken, Archiven und Museen darstellen und vor welch unterschiedliche Herausforderungen die bestandshaltenden Institutionen auch durch die Materialität der jeweiligen Nachlassmaterialien stehen.

Folglich war der Bogen der Vorträge weit gespannt vom progammatischen Vortrag Peter Wegenschimmels (Uni Archiv Kassel) zu „Provenienz als Leitsystem eines Dokumentationsprofils“ bis hin zur Vorstellung der vielfältigen Sammlung von Intermediakunst, Underground, Wiener Aktionismus und Konkreter Poesie im Nachlass von Hanns Sohm (+ 1999) durch Elke Allgaier (Staatsgalerie Stuttgart).

Interessante Einblicke in die Nachlassbestände ihrer Archive und die damit verbundenen besonderen Herausforderungen für die Kuratoren gaben zudem Susanne Rappe-Weber (Archiv der deutschen Jugendbewegung, Witzenhausen), Bettina Wischhöfer (Landeskirchliches Archiv Kassel) und Sylvia Asmus (Deutsches Exilarchiv, Frankfurt) sowie Franziska Schubert und René Varlemann (Arolsen Archives). Bei einem ‚Speed Dating‘ mit anschließenden Führungsangeboten unter dem Titel „Archive stellen sich vor“ präsentierten sich außerdem das Archiv des Landeswohlfahrtsverbands Hessen (Dominik Motz), das Archiv der deutschen Frauenbewegung (Silke Mehrwald), das documenta archiv (Saskia Mattern) und das Spohr Museum (Karl Traugott Goldbach). Darüber hinaus öffnete Saskia Johann (Kassel) mit ihrem Vortrag „In die Fläche tragen“ den Blick auf die Provenienzforschung beim Museumsverband Hessen und stellte verschiedene Pilotprojekte ihres Verbandes vor.

Des Weiteren berichtete Annika Stello (Badische Landesbibliothek Karlsruhe) über die Herausforderungen bei der Erschließung des Nachlasses von Alfred Mombert (ein heute fast vergessener Dichter und Privatgelehrter), welcher schon in den 1950er Jahren auf verschlungenen Wegen in die Badische Landesbibliothek gelangt war. Unter dem Titel „Braune Last im Regal? NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter in Archiven“ befasste sich Gabriele Klunkert (Klassik Stiftung Weimar) am Beispiel eines Goethe-Briefs aus dem Weimarer Literaturarchiv mit der Thematik NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter und appellierte nachdrücklich, Provenienzforschung mehr als bisher als archivarisches Handlungsfeld wahrzunehmen und zu konsolidieren.

Bild: UB/LMB Kassel

Viel Beifall fand auch der kurzweilige Abendvortrag des Grimm-Spezialisten Holger Ehrhardt, der unter dem Titel „Beiträgerfahndung und andere kriminalistische Methoden der Märchenforschung“ aufzeigte, wie er u.a. mit dem Instrument der Graphologie aber auch durch kriminalistisches ‚um die Ecke denken‘ in Verbindung mit gründlichen historisch-philologischen Recherchen das Rätsel um einige Märchenbeiträger der Brüder Grimm lösen konnte.

Gerade auch im vielfältigen Perspektivenwechsel der Vorträge und am Beispiel ganz unterschiedlicher Bestände wurde auf dem Arbeitstreffen in anregender Weise deutlich, wie stark ‚Provenienzfragen‘ uns Bibliothekarinnen, Archivarinnen und Kuratorinnen bei der Verzeichnung von Beständen und der Recherche nach den Bestandsbildnern begleiten und wie sie oftmals auch den Einstieg in weitere Forschungen und Recherchen ermöglichen, die uns dabei helfen, die Geschichte unserer Sammlungen besser zu verstehen.

Ein Beitrag von Dr. Brigitte Pfeil


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