Mit MDPI im Dialog: Ein Bericht vom Transparenzworkshop an der UB Kassel

Der schweizerische Verlag MDPI mit seinen knapp 500 Open-Access-Zeitschriften ist Gegenstand kontroverser Diskussionen. Hinsichtlich seiner Praktiken zur Qualitätssicherung wird er von Forschenden sehr unterschiedlich bewertet. Ein Blick auf verschiedene Qualitätsaspekte zeigt dagegen, dass MDPI sich oftmals gar nicht so sehr von anderen Verlagen unterscheidet. Um direkt mit MDPI in den Dialog zu gehen und kritische Fragen zu diskutieren, lud die UB Kassel zu einem Transparenzworkshop am 25. November 2025 ein, zu dem sie Herrn Peter Roth (Head of Publishing) und Frau Dr. Sarah Klinnert (Managing Editor) von MDPI sowie 10 Teilnehmende aus dem Bereich Open Science und wissenschaftliche Bibliotheken und drei Forschende der Universität Kassel begrüßen durfte.

Bild: UB Kassel, MDPI

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde führte Herr Roth in die Präsentation des Verlags ein, der durchaus polarisiere und für viele ein Kuriosum sei. Vor fast 30 Jahren als Außenseiter außerhalb des klassischen Subskriptionssystems tradierter Verlage angetreten, werde MDPI mit zunehmendem Erfolg trotz hoher Nachfrage von einem Teil der Forschenden auch misstrauisch begegnet. Ein Beispiel sei der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag zu MDPI, dessen Diskussionsverlauf tatsächlich den Eindruck erwecken kann, dass er stark auf Kritik fokussiert und weniger auf Aspekte, die eine neutralere Beurteilung erlauben. Auch sei MDPI auf einer anonym betriebenen Webseite, die sich als seriöses Informationsportal ausgab, jedoch kriminelle Machenschaften verfolgte, als Raubverlag gelistet gewesen.

Im Anschluss präsentierte Frau Klinnert die Redaktions- und Qualitätssicherungsprozesse bei MDPI. Sie wies auf MDPIs Mitgliedschaften bei und Zusammenarbeit mit OASPA, COPE, STM, DOAJ u.a. und eine hohe Abdeckung von MDPIs Inhalten in den Datenbanken Web of Science (2024: 96,9%) und Scopus (2024: 98,1%) hin. Das Peer Review beschrieb sie als einen kollaborativen Prozess zwischen festangestellten (in-house) Editor:innen und den Editorial Board Members (auch akademische Editor:innen genannt), denen die eingereichten Paper zugewiesen werden. Letztere seien in alle kritischen Entscheidungsphasen eingebunden. Zunächst durchläuft ein eingereichtes Paper diverse manuelle und automatisierte Pre-Checks auf Plagiate, Interessenskonflikte, die Einhaltung ethischer Standards, KI-Nutzung, Bildmanipulation und weiterer Aspekte mittels eigener und verlagsübergreifender Tools. Der akademische Editor bzw. die akademische Editorin entscheidet im Anschluss darüber, ob das Paper ins Peer Review geht, zuvor von den Autor:innen überarbeitet werden muss oder von vorneherein abgelehnt wird.

Das Peer Review findet meist als Single-Blind-Review statt. Die Auswahlmöglichkeit eines Open Reviews werde von den Autor:innen aktuell in ca. 20% der Fälle genutzt. MDPI würde einen höheren Anteil begrüßen, betont aber, dass dies von den Forschenden auch gewollt sein müsse. Mit dem Reviewer Finder verwendet MDPI ein datenbankbasiertes In-House-Tool zur Identifizierung geeigneter Reviewer:innen, die dem akademischen Editor bzw. der akademischen Editorin zur Auswahl vorgeschlagen werden. Eine vollständig automatisierte Auswahl von Reviewer:innen durch MDPI, von der Teilnehmende der Equap2-Studie teilweise ausgingen (s. Figure A.10, S. 33), findet somit laut den Ausführungen von MDPI nicht statt. Die Reviewer:innen müssen einen Doktorgrad und fachliche Expertise vorweisen und dürfen in keinem Interessenskonflikt mit den Autor:innen stehen. Pro Artikel werden mindestens zwei Gutachten herangezogen, wobei „Zwei-Satz-Reviews“ nicht akzeptiert werden. Der akademische Editor bzw. die akademische Editorin entscheidet auf Grundlage der Gutachten, ob das Paper unverändert oder nach kleinerer oder größerer Überarbeitung zur Veröffentlichung angenommen oder abgelehnt wird, ggf. mit Empfehlung zur Wiedereinreichung nach grundlegender Überarbeitung. Sollte er oder sie ein Paper zur Veröffentlichung annehmen wollen, für das mindestens ein negatives Gutachten vorliegt, wird die Meinung eines weiteren Editorial Board Members eingeholt, das sich ebenfalls für die Annahme aussprechen muss. MDPI betont, dass alle relevanten Entscheidungen von den akademischen Editor:innen getroffen würden, die auch bei der final decision absolut frei seien. Im Gegensatz zu Subskriptionszeitschriften gebe es bei MDPI jedoch keine Obergrenze an jährlich zu veröffentlichenden Artikeln, weshalb keine Notwendigkeit bestehe, eine festgelegte Anzahl an Einreichungen abzulehnen und nur die allerbesten Forschungsarbeiten anzunehmen. Aktuell läge die Ablehnungsquote bei MDPI bei durchschnittlich 59%. Die Neuartigkeit der veröffentlichten Forschungsergebnisse sei zwar bis zu einem gewissem Grad relevant, für MDPI aber eher die Signifikanz der Forschung.

Bezüglich Special Issues berichtete Frau Klinnert, dass sowohl die Auswahl dieser Themensammlungen als auch ihrer Gastherausgebenden der Bewertung der regulären Editors-in-chief unterläge. Herr Roth räumte ein, dass es in der Vergangenheit bei einigen sehr großen Zeitschriften eine Herausforderung gewesen sei, die Bewertung dieser Themen einheitlich zu gestalten. Die Gastherausgebenden der Special Issues müssten bestimmte Qualifikationen erfüllen und sich nach den Richtlinien verhalten. Sofern nötig, erhielten sie ein Training. Der Peer-Review-Prozess entspreche genau dem gleichen Verfahren wie für regulär eingereichte Artikel. Grundsätzlich sei der Editor-in-chief verantwortlich für die Qualität eines Journals und in seiner Vertretung die weiteren akademischen Editor:innen, was auch bei Special Issues gelte. MDPI beobachte jedoch, dass ethische Probleme bei den eingereichten Artikeln grundsätzlich leider zunähmen. Das stetig erweiterte MDPI Research Integrity Team umfasse aktuell 12 Vollzeitmitarbeitende, 30 erfahrene In-house-Editor:innen als support committee sowie 19 Journal Ethic Specialists, die bei solchen Fällen über ein internes Portal unterstützen und beraten. So habe es 2024 1.444 neue Ethikfälle gegeben, von denen 1.139 im Austausch mit den Autor:innen, Editors-in-chief und Institutionen erfolgreich gelöst worden seien. Die explodierende Anzahl an Fälschungsversuchen zeige jedoch auch deutlich den Publikationsdruck, der aus der Wissenschaft heraus generiert werde.

Zum Abschluss des Vortrags beschrieb Herr Roth MDPI als eine Plattform für Forschende, deren Hauptmission es sei, Einreichungen nach Qualitätskriterien zu überprüfen und wissenschaftlich korrekte Paper so schnell wie möglich zu veröffentlichen, um sie für die weitere Forschung frei zugänglich zur Verfügung zu stellen. MDPIs Philosophie sei ein schneller und autorenzentrierter Service.

Das erste große Thema in der anschließenden Diskussion war das E-Mail-Marketing von MDPI. Teilnehmende verschiedener Einrichtungen berichteten von negativem Feedback ihrer Forschenden. Auch die anwesenden Wissenschaftler:innen teilten diese Sicht. MDPI verschicke zu viele E-Mails mit der Aufforderung zur Einreichung von Artikeln in regulären Ausgaben oder Special Issues. Diese wirkten oft KI-generiert, passten teils nicht zur Fachdisziplin der Adressat:innen oder böten an, bei der Auswahl eines passenden Journals behilflich zu sein. Auch fachlich unpassende Anfragen zum Peer Review oder zur Mitarbeit in einem Editorial Board kämen vor. Laut MDPI sei die Wahrnehmung dieser E-Mails länderspezifisch und möglicherweise auch fachdisziplinabhängig. Es gebe durchaus Forschende, die sie als nützlich ansehen. Dennoch nehme man den Unmut wahr und habe Marketing-E-Mails dieser Art bereits halbiert. Es gebe diesbezügliche interne Richtlinien und jede E-Mail könne mit einem Unsubscribe-Link sofort abbestellt werden. MDPI arbeite daran, die dahinterliegenden Algorithmen weiter zu optimieren.

Breiten Raum nahmen in der Diskussion auch die Qualitätssicherungsprozesse bei MDPI ein. So wurden die kurzen Zeiträume von der Einreichung bis zur Veröffentlichung von Papern in MDPI-Zeitschriften hinterfragt, insbesondere mit Blick auf die kurze Zeitspanne, die den Gutachtenden für das Review eingeräumt wird. MDPI entgegnete, dass man Deadlines nennen müsse, um Rückmeldungen der Forschenden zu erhalten. Man könne aber immer um eine Verlängerung bitten, die auch gewährt werde. Grundsätzlich hänge die notwendige Dauer auch von Art und Umfang des jeweiligen Artikels und der jeweiligen Fachdisziplin ab. So würden z.B. in der Medizin schnelle Veröffentlichungszeiten gewünscht, in den Sozialwissenschaften dagegen nicht. In der weiteren Diskussion wurde erwähnt, dass auch einige OA-Zeitschriften anderer Verlage für das Review lediglich 10 Tage einräumen. Zudem werden die schnellen Veröffentlichungszeiten, die MDPI im Sinne seiner Autorenzentrierung bewusst anstrebt, insbesondere aufgrund der durchoptimierten, verlagsinternen Redaktionsprozesse erreicht. Dennoch blieb der Eindruck, dass die redaktionellen Prozesse, die bei anderen Verlagen möglicherweise effizienter und schneller organisiert werden könnten, bei MDPI ggf. zu schnell durchlaufen werden, was Misstrauen gegenüber der Qualitätssicherung schürt. Grundsätzlich wurde konstatiert, dass es aufgrund des Publish or Perish für Verlage im Allgemeinen schwieriger geworden ist, geeignete Gutachter:innen zu finden, und diese aufgrund der Vielzahl an Reviewanfragen unter einem hohen zeitlichen Druck stehen und viele Anfragen ablehnen müssen.

Die Wahrnehmung eines der Forschenden, dass in seinem Umfeld so gut wie keine Einreichungen in MDPI-Journals abgelehnt würden, wird durch Zahlen der Universität Kassel zumindest teilweise bestätigt. Die Annahmequoten der Universität Kassel bei MDPI lagen in den vergangenen vier Jahren im Schnitt ca. 30% über den globalen Annahmequoten des Verlags. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass von Forschungseinrichtungen aus Ländern wie Deutschland mit hohen wissenschaftlichen Standards ein größerer Anteil an wissenschaftlich fundierten Arbeiten eingereicht wird als im weltweiten Vergleich. Grundsätzlich wäre für eine abschließende Beurteilung eine Analyse nationaler Annahmequoten bei verschiedenen Verlagen notwendig. Befragt nach der Option reject, encourage resubmission, also der Ablehnung eines Manuskripts mit dem Hinweis, es nach einer grundlegenden Überarbeitung erneut einreichen zu können, erläuterte MDPI, dass eine notwendige, aber umfassendere Überarbeitung eines eingereichten Artikels dazu führe, dass dieser sehr lange im Veröffentlichungsprozess verbleibe, was nicht der Verlagsphilosophie entspreche, Artikel möglichst schnell zu bearbeiten. Diese Option signalisiere den Autor:innen, dass ihr Paper Potenzial habe, in der aktuellen Fassung aber noch nicht veröffentlichungsreif sei.

Auf die Frage, warum einzelne Zeitschriften für mehr als 3.000 Special Issues gleichzeitig um Einreichungen werben, gab MDPI an, dass man bestimmte Themen clustern und Networking innerhalb eines Forschungsfeldes unterstützen wolle. Nicht alle beworbenen Special Issues würden am Ende tatsächlich auch umgesetzt, wenn die Nachfrage ausbleibe oder die Idee des Guest Editors keinen Anklang finde. Ein Teilnehmender berichtete von seiner zunächst positiven Erfahrung als Guest Editor eines Special Issues. Thematisch sei man auf einem guten Weg gewesen, doch nachdem nur wenige Einreichungen erfolgt seien, habe eine MDPI-Mitarbeiterin die Einladung in seinem Namen wesentlich breiter gestreut und es sei „ins Spam-artige gekippt“. MDPI räumte ein, dass der Verlag über die Jahre sehr dynamisch gewachsen sei und es bei der Vielzahl an Mitarbeitenden nicht immer leicht gewesen sei, alles zu kontrollieren, was sich jetzt aber geändert habe. Trainingsprogramme für die Mitarbeitenden würden ständig überarbeitet. Man arbeite an einer stetigen Verbesserung der Prozesse und die Zeitschriftenteams stünden in regelmäßigem Kontakt mit den externen Editor:innen der Zeitschriften, um alle Formen von Feedback sofort aufnehmen zu können.

Bezüglich einiger wegen Verstößen gegen Best-Practice-Kriterien aus dem DOAJ entfernter Zeitschriften gab MDPI an, dass dies hauptsächlich an den Ende 2023 vom DOAJ neu eingeführten Kriterien für Special Issues läge. Man stehe mit dem DOAJ in Kontakt und arbeite daran, dass diese Zeitschriften wieder ins DOAJ aufgenommen würden. In der weiteren Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass aus dem DOAJ entfernte Zeitschriften auch bei anderen Verlagen vorkommen. Es wurde die Vermutung geäußert, dass MDPI inzwischen aufgrund der kontroversen Diskussion mit strengeren Maßstäben bewertet werde als andere Verlage, z.B. in Bezug auf Rücktritte von Editorial Boards oder die Deindexierung von Zeitschriften aus dem Web of Science. Andere Verlage sind davon ebenso betroffen wie MDPI, werden aber aufgrund solcher Ereignisse im Gegensatz zu MDPI nie als Ganzes in Frage gestellt.

Dass es ein negatives Narrativ gegen den Verlag gebe, wurde aber auch kritisch hinterfragt. Als kommerzielles Unternehmen habe MDPI ein Interesse an Artikelwachstum und seine Geschäftspraktiken folgten einer entsprechenden Strategie. Mit seinem Publikationsangebot fördere MDPI die Salamitaktik beim Publizieren und das Publish or Perish an sich. MDPI entgegnete, dass der Verlag nicht erfolgreich sein könne, wenn er mit negativen Absichten agieren würde. Auf diese Weise würde er als Unternehmen nicht überleben. Man müsse eine gute Leistung erbringen, damit Autor:innen und Gutachter:innen positive Erfahrungen machen und weiterhin in den Zeitschriften des Verlags veröffentlichen oder Artikel begutachten. Unstrittig blieb, dass MDPI als kommerzielles Unternehmen natürlich auch Profit machen will – genau wie alle anderen Wissenschaftsverlage auch. Auf die Frage, ob Herr Roth das APC-Modell im Open Access als Treiber von Fehlentwicklungen des wissenschaftlichen Publizierens sehe, entgegnete er, dass eine Zunahme an Einreichungen bei Subskriptionsverlagen in die Gründung neuer Zeitschriften münde und somit genau die gleiche Entwicklung zeige. Der hohe Publikationsdruck werde nicht von den Verlagen generiert. Er komme aus der Wissenschaft selbst. In der Tat kann man argumentieren, dass MDPI mit seinem Angebot nicht Urheber des Publish or Perish ist, sondern eine Nachfrage bedient, wenngleich der Verlag damit dieses Paradigma natürlich weiter antreibt. Die Ursachen für ein solches Publikationsverhalten kann jedoch nur die Wissenschaft selbst beseitigen, indem sie ihre Bewertungs- und Reputationsmechanismen ändert.

Gegen Ende der Veranstaltung erläuterte Herr Roth noch, dass MDPI mit dem Journal and Article Management System (JAMS) auch als Dienstleister für Fachgesellschaften fungiere, die ihre Zeitschriften mit ihrem eigenen Branding betreiben möchten. MDPI stelle diese Dienstleistung bereit, damit auch andere die Möglichkeit hätten, ihre eigenen Zeitschriften nach ihren eigenen Vorstellungen zu gründen. Tatsächlich könnte MDPI mit seinem technischen Know-How in einer stärker auf Diamond Open Access ausgerichteten Publikationslandschaft, wie sie zunehmend als Alternative zu kommerziellem Open Access diskutiert wird, ein relevanter Dienstleister sein.

Zum Schluss standen keine weiteren Fragen im Raum. Ein allgemeingültiges Fazit zu den Geschäftspraktiken von MDPI konnte nicht gezogen werden, jedoch herrschte Einigkeit, dass der Verlag kein Raubverlag ist, als den einzelne Forschende ihn immer mal wieder bezeichnen. Eine solche Einstufung ist nicht gerechtfertigt und verwässert den Begriff „Raubverlag“, der Anbietern mit betrügerischen Praktiken vorbehalten bleiben sollte. Grundsätzlich zeigt die Diskussion auf, dass eine differenzierte Sicht auf MDPI geboten ist, genauso wie auf andere Wissenschaftsverlage, und Pauschalurteile nicht hilfreich sind. Die UB Kassel dankt Herrn Roth, Frau Klinnert und allen Teilnehmenden aus den Bibliotheken und wissenschaftlichen Einrichtungen für den offenen Austausch und die durchaus kritische, aber jederzeit sachliche Diskussion.

Ein Beitrag von Dr. Tobias Pohlmann

Kontakt:
Dr. Tobias Pohlmann
openaccess@bibliothek.uni-kassel.de
0561 804 2529


Creative Commons LizenzvertragDieser Beitrag – ausgenommen Zitate und anderweitig gekennzeichnete Teile – ist unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung International (CC BY 4.0) lizenziert. Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.


Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *

*