Manchmal sind die Dinge einfach nur schwarz oder weiß. In aller Regel jedoch gibt es viele Schattierungen. Das ist bei Wissenschaftsverlagen nicht anders. Allzu gerne teilen Forschende sie in eindeutig seriöse Anbieter und betrügerische Raubverlage ein, doch auch hier liegt ein Spektrum verschiedener Ausprägungen vor. Für die Seriosität von Verlagen sprechen z.B. die Durchführung von Peer Reviews (mit variierender Stringenz), eine Indexierung ihrer Zeitschriften in bibliografischen Datenbanken und eine Listung im Directory of Open Access Journals (DOAJ) sowie eine Mitgliedschaft in der Open Access Scholarly Publishing Association (OASPA) und im Committee on Publication Ethics (COPE). Zu den tendenziell unseriösen Merkmalen gehören ein Artikelwachstum, das primär über Special Issues in Verantwortung von Gastherausgebenden generiert wird, ein aggressiver E-Mail-Versand zur Einwerbung von Einreichungen, schnelle Veröffentlichungen und hohe Annahmequoten. Verlage, die zwischen diesen beiden Polen agieren, werden auch als „graue Verlage“ bezeichnet.

Drei Kandidaten, an denen sich die Geister scheiden, sind die Open-Access-Verlage MDPI, Frontiers und vormals Hindawi, dessen Zeitschriften 2024 mehrheitlich im Portfolio von Wiley aufgegangen sind. Nach einer Umfrage unter Forschenden der Uni Kassel fördert die UB Kassel seit Oktober 2023 Artikel in MDPI-Zeitschriften nur noch eingeschränkt aus ihrem Open-Access-Publikationsfonds. Anhand zahlreicher Quellen und eigener Auswertungen versucht sich die UB Kassel in einem aktuellen Fachartikel an einer Einordnung dieser drei kontrovers diskutierten Verlage. Was sind die Erkenntnisse?
Ein häufiger Kritikpunkt sind ihre gering(er)en Qualitätsstandards. Immer mal wieder hört man von Rücktritten ganzer Editorial Boards wegen verlagsseitiger Einmischung in redaktionelle Entscheidungen, was jedoch auch bei großen, traditionellen Verlagen vorkommt. Die Annahmequoten wissenschaftlicher Zeitschriften liegen im Schnitt zwischen 35 und 40 % mit disziplinspezifischen Unterschieden. Bei MDPI und Frontiers lagen sie 2023 bei 44 bzw. 52 %. Damit sind die Zeitschriften beider Verlage nicht besonders selektiv, aber durchaus vergleichbar mit diversen anderen Open-Access-Zeitschriften. Der durchoptimierte und teil-automatisierte Review Prozess mit algorithmenbasierter Zuweisung von Gutachtenden wird von Forschenden eher negativ bewertet. Im Jahr 2022 betrug die durchschnittliche Dauer zwischen Artikeleinreichung und -annahme bei MDPI 37 Tage, bei Frontiers 72 Tage und bei Hindawi 83 Tage. Bei anderen Verlagen waren es mindestens 130 Tage. Die Selbstzitationsrate auf Verlagsebene, die Zitationen von Artikeln durch andere Artikel innerhalb des verlagseigenen Zeitschriftenportfolios umfasst, ist bei MDPI mit knapp 30% höher als bei den meisten anderen Verlagen, wird aber zum Beispiel vom größten Wissenschaftsverlag Elsevier übertroffen. Die Anzahl zurückgezogener Artikel (Retractions) liegt bei Open-Access- und traditionellen Verlagen mit Ausnahme des Negativbeispiels Hindawi (s.u.) zwischen 0,1 und 2,3 Artikeln pro 1.000 veröffentlichten Artikeln. MDPI und Frontiers stechen mit Werten von 0,25 und 0,91 nicht besonders hervor.
Problematisch ist die Taktik, Artikelwachstum verstärkt über Special Issues in Verantwortung von Gast- oder verlagsinternen Herausgebenden ohne angemessene Einbindung der regulären Editorial Boards zu generieren. 2022 waren Special Issues bei MDPI, Frontiers und Hindawi je nach Quelle für 65, 70 und 53 % bzw. 88, 70 und 62 % des Artikeloutputs verantwortlich. Nach dem Kauf von Hindawi stellte der neue Eigentümer Wiley fest, dass dieses Geschäftsmodell zur Unterwanderung zahlreicher Hindawi-Zeitschriften durch Paper Mills geführt hatte. Letztere fertigen gegen Bezahlung gefälschte Forschungsartikel an und reichen sie bei wissenschaftlichen Zeitschriften ein. In der Folge musste Wiley Tausende von Artikeln zurückziehen und gab die Marke Hindawi schließlich auf. Auch für vier MDPI-Zeitschriften wurde bereits eine zumindest zeitweise Zusammenarbeit zwischen den Herausgebenden und einer Paper Mill aufgedeckt. Doch auch traditionelle Verlage sind von der Paper-Mill-Problematik betroffen.
Das DOAJ listet qualitätsgeprüfte Open-Access-Zeitschriften, die gewisse Best-Practice-Kriterien erfüllen. Bis Ende 2024 hatte es insgesamt 3.588 Zeitschriften wieder entfernt, die diese Standards nicht mehr einhalten. An dritter und vierter Stelle hinter zwei zweifelhaften Verlagen, deren Zeitschriften inzwischen gar nicht mehr im DOAJ vertreten sind, folgen die traditionellen Verlage Wolters Kluwer mit 55 und De Gruyter mit 41 entfernten Zeitschriften. Dahinter liegen MDPI und Hindawi mit 26 und 23 entfernten Zeitschriften, davon bei MDPI allein 17 im letzten Jahr, was vermutlich mit inzwischen strengeren Regeln bezüglich Special Issues zusammenhängt. Auch Zeitschriften von Springer Nature, Elsevier, SAGE, Taylor & Francis und Wiley waren bereits betroffen, bisher nicht jedoch Zeitschriften von Frontiers.

Unter Forschenden scheint sich eine gewisse Skepsis gegenüber diesen Verlagen breitzumachen. Zwischen 2022 und 2024 verzeichnete MDPI nach einem zuvor stetigen Artikelzuwachs einen Rückgang an jährlich veröffentlichten Artikeln um 19,9 %, in Deutschland um 38,8 % und an der Universität Kassel sogar um 73,5 %! Frontiers sah sich im selben Zeitraum mit einem Artikelrückgang um 42,9 % konfrontiert (Deutschland: 45,4 %, Uni Kassel: 40,0 %).
Was folgt aus alldem? MDPI und Frontiers sind keine Raubverlage – und Hindawi war auch keiner. Jedoch weisen sie durch ihre Special-Issue-Strategie und ihre durchoptimierten, teil-automatisierten Review-Prozesse Merkmale auf, die man von einem seriösen Verlag nicht unbedingt erwarten würde. Es spricht also einiges dafür, sie als „graue Verlage“ einzustufen. Die Entfernungen aus dem DOAJ zeigen aber auch Missstände bei traditionellen Verlagen auf. MDPI und Frontiers profitieren von der hohen Nachfrage nach niederschwelligen Publikationsangeboten, die durch das „Publish or Perish“-Paradigma aus der Wissenschaft heraus überhaupt erst generiert wird, und tragen so zu einer inzwischen unüberschaubaren Publikationsflut bei. Sie sind somit gleichermaßen Symptom und Verstärker eines fehlgeleiteten wissenschaftlichen Bewertungssystems, das stark auf Quantität und immer weniger auf Qualität fokussiert. Dieses Problem kann nur aus der Wissenschaft heraus angegangen werden durch einen Wandel von Reputationsmechanismen und Bewertungspraktiken, wie sie DORA und CoARA anstreben. Das Ziel sollte ein wissenschaftliches Publikationswesen sein, das statt kleinteilig publizierter Artikelmassen einen echten wissenschaftlichen Diskurs fördert. Dann erledigen sich die Geschäftsmodelle grauer Verlage (und auch so mancher preistreibender Großverlage) von selbst.
Mehr Details sind bei Interesse in nachfolgendem Artikel zu finden:
Pohlmann, T. (2025): MDPI, Frontiers et al.: Eine kritische Betrachtung von Qualitätsaspekten. In: O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal, 12(1), DOI: 10.5282/o-bib/6134
Ein Beitrag von Dr. Tobias Pohlmann
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Dr. Tobias Pohlmann
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