Der Open-Access-Verlag MDPI ist in der Wissenschaft zweifellos stark nachgefragt. Der Zuwachs an Fachartikeln in seinen Zeitschriften verläuft seit Jahren exponentiell. Inzwischen rangiert er gemessen am weltweiten Artikelaufkommen an vierter Stelle hinter den Verlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley. Auch an der Universität Kassel ist dieser Trend deutlich spürbar. Der von der UB Kassel verwaltete Publikationsfonds förderte 2015 erstmalig vier Artikel in MDPI-Zeitschriften. 2022 waren es 59, mehr als die Hälfte aller geförderten Open-Access-Artikel im letzten Jahr.
Auf den ersten Blick eine gute Sache, schließlich setzt sich die Universität Kassel seit Jahren für Open Access ein. Doch dies darf nicht zu Lasten der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Veröffentlichungen gehen. MDPI wird zunehmend kritisiert, sei es angesichts der vielen Special Issues, der Veröffentlichung wissenschaftsethisch fragwürdiger Artikel oder seiner generellen Geschäftspraktiken von sehr schnellem Peer Review bis hin zu aggressiver E-Mail-Werbung. Bereits mehrmals äußerten auch Forschende der Universität Kassel gegenüber der UB Unverständnis darüber, dass der OA-Fonds Artikel in MDPI-Zeitschriften finanziert. Fördervoraussetzung ist jedoch, dass die jeweilige OA-Zeitschrift im Directory of Open Access Journals (DOAJ) gelistet ist, was für MDPI-Zeitschriften bisher genauso gilt wie für die Zeitschriften aller anderen Verlage.
Die immer lauter werdende Kritik und die zugleich steigenden Publikationszahlen stehen im Widerspruch zueinander und werfen die Frage auf, wie künftig mit der Förderung von Artikeln in MDPI-Zeitschriften verfahren werden sollte, um einerseits die Wissenschaftler:innen bei der Wahl ihrer Publikationsorte möglichst nicht einzuschränken, andererseits aber sicherzustellen, dass sich Open Access als qualitätsgesicherte, vertrauenswürdige und nachhaltige Publikationsoption etabliert. Als Grundlage für eine fundierte Entscheidung hat die UB Kassel daher Anfang dieses Jahres eine Online-Umfrage unter den Forschenden der Uni Kassel durchgeführt. Es konnten die Antworten von insgesamt 450 Teilnehmenden ausgewertet werden, von denen 254 (56,4%) den Verlag kannten.
Bereits die Beantwortung der Frage, ob MDPI ein seriöser Verlag sei, macht die heterogene Wahrnehmung des Verlags deutlich. Die Hälfte der Antwortenden stuft den Verlag als seriös oder eher seriös ein, wobei das Urteil von Angehörigen der MINT-Fächer tendenziell besser ausfällt als bei den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Doktorand:innen beurteilen den Verlag positiver als Postdocs. Am kritischsten ist die Gruppe der Professor:innen. Auch wer bereits in MDPI-Zeitschriften publiziert hat oder gar im Editorial Board einer solchen Zeitschrift aktiv ist, bewertet den Verlag positiver.
Befragt nach ihren Erfahrungen als Autor:innen mit dem Peer Review, hielten es 52,2% der Antwortenden, die bereits in mindestens einer MDPI-Zeitschrift veröffentlicht hatten, für zutreffend bzw. eher zutreffend, dass fachlich geeignete Gutachter:innen ausgewählt wurden. 60,0% hielten die Rückmeldungen der Gutachter:innen ganz oder eher für inhaltlich fundiert. Den Umfang der Rückmeldungen bewerteten 57,8% als angemessen oder eher angemessen. Unter den Teilnehmenden, die bereits für MDPI-Zeitschriften als Gutachter:innen tätig waren, sind 51,2% ganz oder eher der Ansicht, dass sie bisher nur für die Begutachtung solcher Artikel ausgewählt wurden, für die sie eine fachliche Expertise besitzen. 58,1% sind ganz oder eher der Auffassung, dass MDPI ihre Einschätzung angemessen berücksichtigt hat. Das Urteil der Antwortenden zum Peer Review fällt somit positiver aus, als es die oftmals geäußerte Kritik an MDPIs Qualitätssicherung hätte erwarten lassen. Jedoch finden zwei Drittel der Gutachter:innen die ihnen dafür gewährte Zeitspanne zu kurz, wohingegen 54,5% der Autor:innen die Dauer des Peer Reviews als angemessen betrachten. Mindestens erstaunlich, eher jedoch kritisch zu betrachten ist, dass lediglich 11,2% von ihnen angaben, dass einer ihrer Artikel auch nach erneuter Einreichung endgültig zur Veröffentlichung abgelehnt worden sei. Angehörige der Uni Kassel erreichen somit eine Ablehnungsquote weit unterhalb derjenigen, die sich aus den Zahlen in MDPIs Jahresbericht für 2022 ergibt.
Etwas mehr als die Hälfte der Antwortenden, die MDPI kennen, halten es für sinnvoll oder eher sinnvoll, dass der OA-Fonds Artikel in Zeitschriften des Verlags finanziert. Es zeigen sich dieselben Tendenzen wie bei der Frage nach MDPIs Seriosität: Angehörige der MINT-Fächer, Doktorand:innen und Autor:innen von Artikeln in MDPI-Zeitschriften fällen ein positiveres Urteil als Angehörige der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Professor:innen und jene, die bisher nicht bei MDPI publiziert haben.
Am Ende der Umfrage bestand die Möglichkeit zu weiteren Rückmeldungen in einem Freitextfeld, wovon 106 Teilnehmende Gebrauch machten, überwiegend mit kritischen Anmerkungen. Häufig genannt wurde, dass die Qualität bei MDPI von Zeitschrift zu Zeitschrift unterschiedlich ausfalle, dass die Zeitschriften für eine schnelle Veröffentlichung ohne größere Hürden genutzt würden, dass der Verlag ein aggressives E-Mail-Marketing betreibe und dass das Peer Review kritisch betrachtet werde. Viermal wurde angemerkt, dass MDPI vom gegenwärtigen System der Wissenschaftsbewertung profitiere (Publish or Perish).
Das Meinungsbild zu MDPI fällt durchaus breit aus. Trotz der tendenziell eher positiven Bewertung macht die Umfrage deutlich, dass viele Teilnehmende MDPI bzw. seine Zeitschriften kritisch oder zumindest ambivalent sehen. Ein eindeutiges Urteil kann nicht gefällt werden, jedoch wäre überlegenswert, aus dem OA-Fonds künftig nur noch Artikel in solchen MDPI-Zeitschriften zu fördern, die die Fachbereiche als geeignet ansehen, und zu diesem Zweck fachbereichsspezifische Positivlisten zu erstellen. Ganz generell bleibt anzumerken, dass die Geschäftspraktiken von MDPI als Symptom des gegenwärtigen wissenschaftlichen Bewertungssystems interpretiert werden können, bei dem insbesondere Nachwuchswissenschaftler:innen für die eigene Karriere auf möglichst viele Veröffentlichungen angewiesen sind, idealerweise in Zeitschriften mit Impact Factor, den MDPI für einen Teil seiner Zeitschriften vorweisen kann. DFG und Wissenschaftsrat haben die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA) unterzeichnet und propagieren in ihrem Positionspapier zu wissenschaftlichem Publizieren und Wissenschaftsbewertung bzw. ihren Empfehlungen zur OA-Transformation eine Abkehr von der Bewertung wissenschaftlicher Veröffentlichungen nach Impact Factor und anderen Kenngrößen des Publikationsortes. Ein solcher Wandel kann nur aus der Wissenschaft selbst heraus angegangen werden, hätte jedoch das Potenzial, einige Fehlentwicklungen auf dem wissenschaftlichen Publikationsmarkt zu korrigieren, die es jenseits von MDPI auch bei den wissenschaftlichen Großverlagen gibt. Die niedrigen Ablehnungsquoten bei MDPI, aber auch bei OA-Zeitschriften anderer Verlage, werfen zudem die Frage auf, ob ein Finanzierungsmodell basierend auf Artikelgebühren tatsächlich zielführend ist oder ob der Fokus bei der OA-Transformation nicht eher auf OA-Zeitschriften ohne Artikelgebühren liegen sollte, die z. B. von Fachgesellschaften bzw. (gemeinschaftlich) von wissenschaftlichen Einrichtungen finanziert werden (Diamond OA).
Einen ausführlichen Bericht zur Umfrage und ihren Ergebnissen finden Sie auf KOBRA.
Kontakt:
Dr. Tobias Pohlmann
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