Forschungsdatenmanagement: Zwischen Mehrarbeit & Mehrwert

Forschungsdatenmanagement wird häufig als ein ‚bürokratisches Monster‘ wahrgenommen, das Forschende im Wesentlichen von ihrer eigentlichen Arbeit abhält: dem Forschen. Auf der anderen Seite birgt dieses Monster zugleich das Versprechen, die eigene Forschung effizienter, aber auch anschlussfähiger für andere zu machen und damit einen Mehrwert zu generieren: für die Forschenden, die Arbeitsgruppe, die Community und im besten Fall die Gesellschaft als Ganzes.

Bei der Podiumsdiskussion im Rahmen des ersten Kasseler Forschungstags sollte dieses Spannungsfeld zwischen Mehrarbeit und Mehrwert aus verschiedenen Perspektiven kritisch beleuchtet werden. Hierzu waren vier Kasseler Professor:innen eingeladen; die Moderation wurde von Ortrun Brand, Koordinatorin der Landesinitiative HeFDI sowie Leiterin des Marburger Servicezentrums digital gestützte Forschung, übernommen.

Frau Brand eröffnete die Diskussion mit einer Frage an die Zuhörerschaft: „Wer von Ihnen macht Forschungsdatenmanagement?“. Als nur wenige Hände in die Luft gingen, korrigierte sie umgehend: „Sie alle machen das!“. Denn Forschungsdaten gibt es in allen wissenschaftlichen Disziplinen, und im Forschungsalltag gehen alle Wissenschaftler:innen mit ihnen um. Den häufig etwas abstrakt scheinenden Begriff des Forschungsdatenmanagements mit Leben zu füllen und aus der eigenen Praxis zu zeigen, wie aus Mehrarbeit auch Mehrwert generiert werden kann, halfen anschließend die vier Kasseler Professor:innen auf dem Podium. Nacheinander gaben sie in Form kurzer Impulsvorträge spannende Einblicke und beantworteten dabei Fragen nach den Erfahrungen zum Thema Forschungsdatenmanagement in ihren Arbeitsgruppen und den Herausforderungen, aber auch den Chancen und Vorteilen. Dabei zeigten sich ihre teils sehr unterschiedlichen, teils überraschend ähnlichen Wahrnehmungen und Probleme.

Den Auftakt machte Prof. Birgit Gemeinholzer. Sie leitet die Arbeitsgruppe Botanik am Institut für Biologie. In ihrem Input machte sie deutlich, dass es die Anstrengungen im ersten Teil des Datenlebenszyklus‘ sind, die im zweiten Teil Früchte tragen. Würden die Daten von Anfang an sorgfältig benannt, aufbewahrt und dokumentiert, könnten sie später ohne Zusatzaufwand als eigenständige Veröffentlichungen publiziert und gegebenenfalls durch die Community nachgenutzt werden. Dies sei außerdem der kritische Faktor für ein gelingendes Forschungsdatenmanagement, wie weitere Podiumsteilnehmer:innen bekräftigen: Nur wenn gute Routinen von Beginn an gepflegt und Mitarbeiter:innen entsprechend angeleitet würden, fiele die Organisationsarbeit nach einem initialen Einrichtungsaufwand leichter und die Vorteile könnten zum Tragen kommen.

Als zweites stellte Prof. Thomas Niendorf, Leiter des Fachgebiets Metallische Werkstoffe am Institut für Werkstofftechnik, die komplexen Datenströme in der Materialforschung vor. Für die Herstellung eines kleinen Bauteils, das Professor Niendorf dem Publikum zur Veranschaulichung mitgebracht hat, sind zahlreiche, aufeinander aufbauende Arbeits- und Analyse- und Transformationsschritte der erzeugten Daten erforderlich. Den Zuhörenden wird angesichts der gigantischen Datenströme anschaulich vor Augen geführt, dass gutes Datenmanagement in dieser Disziplin eine notwendige Grundlage und damit keineswegs optional ist.

Als Professorin und Leiterin des Fachgebiets für Sozialwissenschaftliche Methodologie qualitativ-rekonstruktiver Forschung legte Prof. Ulrike Kissmann ihren Fokus auf qualitative, kontextsensitive Daten. Herausforderungen zeigten sich hier beispielsweise im Bereich schambehafteter Forschungsthemen, aber auch im Zusammenhang mit ethnografischen Daten, die gleichermaßen geistiges Eigentum der Forschenden wie der Beforschten sein können. Auch für diese schützenswerten Daten stünden spezifische überregionale Infrastrukturen zur Verfügung, um sie zu archivieren, zu teilen und – sofern möglich und gewünscht – zu publizieren.

Vervollständigt wurde die Runde durch Prof. Olaf Stursberg, Fachleiter für Regelungs- und Systemtheorie am Fachbereich für Elektrotechnik und Informatik. In seinem Vortrag gibt er Einblicke in verschiedene Forschungsprojekte seines Fachgebiets und die projektspezifischen Herausforderungen. Im interdisziplinären DFG-Projekt Multiscale Clocks müssen beispielsweise über Disziplingrenzen hinweg Daten ausgetauscht werden. Damit dies in der momentanen Projektlaufzeit gelingen kann und die Daten darüber hinaus auch für zukünftige Doktorand:innen nachnutzbar bleiben, ist ein gemeinsames Verständnis und Daten-Labeling elementar. 

Die anschließende offene Diskussion startete mit dem Hinweis aus der Zuhörerschaft, auch Software-Code käme in vielen Forschungsprojekten eine bedeutende Rolle bei der Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu. Selbstgeschriebener, individuell auf eine bestimmte Datenauswertung zugeschnittener Code sei teilweise ebenso essentiell bei der Überprüfung und Nachnutzung von Forschungsergebnissen wie die Daten selbst. Dementsprechend gelte alles, was in Bereich Forschungsdaten diskutiert werde, auch für die Software: Gut dokumentierter Code, in Repositorien zur Nachnutzung verfügbar gemacht, bringe die Wissenschaft voran – und Reputationsgewinn für die Autor:innen! Das Thema ist auch dem Podium präsent. Erwähnt werden der neue GitLab-Dienst der Universität Kassel und die neue Veranstaltungsserie von HeFDI, „HeFDI Code School“. Verschiedenste Tools, Initiativen und Unterstützungsangebote stünden bereit, um Forschungssoftware nachhaltig und wissenschaftlich hochwertig zu gestalten und verfügbar zu machen. Ulrike Kissmann formulierte treffend: „Es gibt nicht nur ein ‚richtig‘.“

„Wie aber kann man gutes Forschungsdatenmanagement umsetzen, wenn man zu wenig Mitstreiter in seiner Community findet“, so eine weitere Frage aus dem Publikum. Diese Hürde lasse sich, so die Wissenschaftler:innen auf dem Podium, am besten nehmen, wenn Nachwuchswissenschaftler:innen, aber auch bereits Student:innen in ihren Abschlussarbeiten von Beginn an an die notwendigen Konventionen herangeführt würden. Auf Arbeitsgruppenebene biete sich hierfür immer der Start eines neuen Forschungsprojekts an, wie Frau Gemeinholzer erläutert.

Die Abschlussrunde war dann den Wünschen und Bedarfen der Diskutant:innen gewidmet. So heterogen wie die Podiusmbesetzung fielen auch die Antworten aus: Konkrete Werkzeuge waren dabei, unter anderem Tools zur gemeinsamen Arbeit an Forschungsdaten inklusive Dokumentation und Versionierung, aber auch eine Austauschplattform für Forschende zu praktischen Aspekten und Bedarfen des Forschungsdatenmanagements. Daneben kamen übergeordnete Wünsche zur Sprache: Keine zu starke Vereinfachung anzustreben, keinem Technikdeterminismus zu verfallen, weiterhin offen für vielfältige und dezentrale Lösungen zu sein. Und: Das Bewusstsein möge steigen, dass Forschungsdaten „Gold“ sind, dass sie zugänglich sein und nachgenutzt werden sollten.

Das können wir, der Forschungsdaten-Service der Universität Kassel, nur unterschreiben! Unser Wunsch ist daher, dass diese spannende Podiumsdiskussion das Forschungsdatenmanagement für einige greifbarer gemacht hat. Bei der Umsetzung in die Realität unterstützen wir Sie gerne und freuen uns auf Ihre Anfragen!

Kontakt:
Forschungsdaten-Service Universität Kassel
forschungsdaten@uni-kassel.de
+49 561 804-4371 | +49 561 804-2224


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